Ein weißes Sommerkleid
Dazu eine kleine Erzählung.
In einem Dorf in dem heutigen Südfrankreich hatte ich vor kurzem von einer Frau
erfahren, die in so einem weißen Kleid durch die Straßen in einer Leichtigkeit
schwebte, so daß ich von ihrer Fröhlichkeit betört war, ein Kleid wie dieses
wäre ein Jungfernkleid. Aber ein besonderes. Es hätte die Federn von Engeln und
würde einen helfen die „ wahre Liebe“ zu finden.
Sie würde aufzeigen, daß man glücklich die wahre Liebe gefunden hätte., „ die
wahre Liebe“? Gleich darauf fragte ich sie, was denn die wahre Liebe sei und sie
erzählte mir diese Geschichte, die ich Euch nun erzählen werde. Man nannte es
das Jungfernkleid, weil man bis in die Ewigkeit zur Liebe eine Jungfernbeziehung
hätte, also die Liebe wäre wie dieses Kleid ein Zeichen der Jugend und Freiheit.
In einem Dorf lebten 3 Schwestern, eine schöner als die andere. Jeden Tag liefen
sie gemeinsam zum Brunnen. Damals war es üblich, daß Frauen zum Brunnen gehen
und Wasser für den Haushalt holen, weil es ja noch keine Wasserleitungen gab.
Diese Zeremonie hatte noch eine andere Hintergeschichte. Die schönsten, jungen
Männer warteten am Brunnen und hofften darauf die große Liebe ihres Lebens zu
begegnen. Das war schwerer als man zu glauben vermochte. Auch waren die
Schamgefühl im Vergleich zu unserer Zeit viel größer. So richtige Machos gab es
auch nicht, und wenn, dann wurden diese natürlich am ehesten zurückgewiesen,
weil nach den Vorstellungen der Frauen mußte der Mann das gewisse etwas haben.
Das gewisse etwas, was Frauen dahin schmelzen ließ; jene Sinnlichkeit und jener
Liebesrausch, ohne dabei ihre Unschuld verlieren zu müssen. Die Unschuld
verlieren konnte man nicht, indem man die Jungfräulichkeit nicht mehr hatte,
diesem Trugbild glaubte man nicht. Die Unschuld konnte man verlieren, wenn man
nicht der „ wahren Liebe“ begegnete, die Fröhlichkeit verlor.
Aber was war die wahre Liebe.
Ein junger Mann, der wegen seiner für damals unüblichen Kleidung zumeist keine
Beachtung von den Frauen erhielt, stellte sich auch diese Frage.
Er war gerade 19 und er konnte den Geltungstrieb der jungen Frauen und jungen
Männer nicht begreifen. Und außerdem, was war das für eine Liebe, die man am
Brunnen vorfinden konnte. So besuchte er einen Zauberer und fragte ihm: „alle
jungen Menschen suchen die wahre Liebe, was die wahre Liebe sei?“ Der Zauberer
erblickte in den Augen des jungen Mannes das Feuer der Leidenschaft, die Seele
der Liebe, die Sinnlichkeit.
Der Zauberer war gewieft, er wußte, wenn er nun dem Jungen erzählen würde, was
er bei ihm sieht, würde der Junge nur unsicher werden und er könnte den Glauben
an die Liebe verlieren.
So traute er sich ein Spiel mit ihm, mit der Hoffnung seine gute Absicht möge
gelingen. Er erzählte:
Ich schenke Dir ein Zaubermittel, berühre damit deine Augenklappen und gehe zum
Brunnen und schaue den Mädchen nur einmal tief in ihre Augen und du wirst spüren
am eigenen Leib und an der eigenen Seele was Liebe ist, denn zur Liebe gehören
immer zwei dazu. Das Feuer und der Funken, muß bei beiden die Seele zum sieden
bringen, daß sie sich so sehr lieben, und vor Sehnsucht eine Trennung nicht mehr
aushalten.
Nun ja, der Junge befolgte den Anweisungen des Zauberers mit der Hoffnung
herausfinden zu können, was denn nun wirklich die „wahre Liebe“ sei . So
erblickte er zuerst die 3 wunderschönen Schwestern. Und alle drei schauten tief
in grüne, so bezaubernde Augen und in der selben Nacht träumten alle drei von
ihm. Jede von ihr war wunderschön und jede von ihr hatte ein weißes Kleid, das
leicht und unbeschwert über ihren jungen Körpern schwerelos hängen blieb. Als
würde dieses Kleid sie zu einem sorglosen Leben und einer schönen Liebe
ermutigte. Auch war es leicht an und auszuziehen. Was natürlich den jungen
Männern zum Vorteil war, und die jungen Frauen hilflos machte, wenn sie
leidenschaftlich ergriffen wurden, beflügelt von ihrem weißem Kleid.
Nun ja, alle drei Schwestern liebten nun diesen Jungen. Sie träumten von ihm,
sie waren erfaßt von seiner Sinnlichkeit. Gleich darauf wollten alle drei nur
noch die Aufmerksamkeit dieses Jungen gewinnen, den sie einst unbeachtet links
liegen ließen. Der Junge aber träumte nur von der mittleren; sie hatte rote
Harre und sie war die verwegenste und unscheinbarste von allen.
Natürlich ist das nun eine lange Geschichte, was dann geschah; ich kann nur
soviel verraten, daß beide am Ende zueinanderfanden, und dieses Mädchen und die
Frau, die mir diese Geschichte erzählte Parallelen hatten, weil beide bis in den
hohen Alter solch ein weißes Kleid trugen, um der Welt und besonders den jungen
Mädchen in ihrem Dorf zu zeigen, daß ihre Liebe sie immer noch beschwingt durch
das Leben begleitet.
Die „wahre Liebe“ kennt also keinen Alter und sie ist keinen festen Gesetzen
erlassen,
was so ein schönes weißes Kleid ausdrücken kann.
Sabine Gauditz
Arte Perfectum
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